Rückblick Neujahrsempfang 2025

am 13. Januar 2025 im Neckar Forum.

Neujahrsrede 2025 von OB Matthias Klopfer

Es gilt das gesprochene Wort.

Vielleicht sollten wir alle mehr träumen von einer friedlichen Welt.

Meine sehr geehrten Damen und Herren,
ich begrüße Sie alle sehr herzlich zum Neujahrsempfang und wünsche Ihnen, auch im Namen meiner Partnerin Doro Steven und im Namen meiner Bürgermeisterkollegen Ingo Rust, Yalcin Bayraktar und Hans-Georg Sigel, alles Gute für das neue Jahr 2025.

Bei mir hat es entspannt angefangen, da hatte ich Zeit, KI und ChatGPT intensiver auszutesten. Und habe natürlich auch einmal die Aufgabe gestellt, eine Neujahrsrede zu schreiben. Mich dann aber doch dagegen entschieden: war schön formuliert, aber mit wenig Inhalt. Aber die Antwort auf meine Frage zu guten Neujahrsvorsätzen fand ich amüsant und will ich Ihnen nicht vorenthalten:

  • Ich habe mir vorgenommen, mich im neuen Jahr gesünder zu ernähren. Ab morgen gibt’s also nur noch Salat – natürlich mit einem Schnitzel als Beilage, man will ja realistisch bleiben.
  • Ich möchte im neuen Jahr weniger Zeit am Handy verbringen – also wirklich nur noch morgens, mittags und abends ... und zwischendurch.
  • Ich möchte ab jetzt nachhaltiger leben – und nehme deshalb einfach meine Vorsätze aus dem letzten Jahr nochmal, die wurden ja kaum benutzt.
  • Wusstet ihr, dass 90 Prozent der Neujahrsvorsätze bis Ende Januar gebrochen werden? Aber hey, ich bin kein Versager, ich schaffe das schon bis nächste Woche.

Nun aber Spaß beiseite und zu meiner Rede. Ganz ohne KI. Nur abends daheim im Wohnzimmer entstanden.

Ich hoffe, dass Ihnen das gemeinsame Singen zum Start gefallen hat. Mit „Imagine“ von John Lennon.

Stell dir vor, es gäbe keine Landesgrenzen.
Komm – es ist gar nicht so schwer.
Es gäbe nichts, wofür jemand töten oder sterben muss …
Stell dir all die Völker vor,
die in Frieden miteinander leben würden.
Vielleicht nennst du mich einen Träumer,
aber - ich bin nicht der Einzige.
Ich hoffe, dass du eines Tages dazugehören wirst
und die Welt eins sein wird …
Stell dir all die Völker vor,
die sich diese Welt TEILEN.
Vielleicht nennst du mich einen Träumer,
aber - ich bin nicht der Einzige.
Ich hoffe, dass du eines Tages dazugehören wirst
und die Welt eins sein wird.

Wir freuen uns, dass wieder so viele unserer Einladung gefolgt sind. Erstmalig unter uns ist unser neuer Landrat Marcel Musolf. Herzlichen Glückwunsch zur Wahl, Kompliment zu den ersten 100 Tagen. Sie waren geprägt von einem vertrauensvollen Miteinander.
Glück auf für all die Aufgaben in unserem Landkreis, einem der größten Landkreise Deutschlands mit 520.000 Einwohnern. Wir freuen uns auf die Zusammenarbeit. Wir haben viele Schnittmengen, zum Beispiel beim öffentlichen Personennahverkehr oder bei den Kliniken, um nur zwei zu nennen.

Letztmalig als Bundestagsabgeordneten begrüßen wir Markus Grübel. Er war seit 2002 für uns in Berlin, unter anderem als Parlamentarischer Staatssekretär im Verteidigungsministerium und als Beauftragter der Bundesregierung für weltweite Religionsfreiheit. Wir sagen besten Dank für 23 Jahre politische Arbeit auf Bundesebene, das Engagement für den Wahlkreis Esslingen, auch über Parteigrenzen hinweg. Ich habe in den vielen Gesprächen viel gelernt über die Entwicklung unserer Bundeswehr und über die aktuelle Situation in der Verteidigungspolitik.

Dieses Thema begleitet fachlich im Haushaltsausschuss auch unser Bundestagsabgeordneter Dr. Sebastian Schäfer. Auch Ihnen ein herzliches Dankeschön für die Unterstützung im Haushaltsausschuss beim Zuschuss für die Sanierung des Merkel’schen Schwimmbads, das wir am 14. September für die Öffentlichkeit wiedereröffnen. Und besten Dank, dass der größte Zuschuss des Bundes in der Geschichte unserer Stadt für den O-Bus-Ausbau mit mehr als 27 Millionen Euro kam und dank Ihrer Unterstützung aufgrund der bekannten Probleme beim Bushersteller ins Jahr 2025 verschoben werden konnte. Die Ausschreibung für fast 100 Busse läuft, der Leitungsausbau geht weiter. Wir werden damit als erste Stadt im Jahr 2027 komplett emissionsfrei unterwegs sein!

Ich begrüße unsere Landtagsabgeordneten Andrea Lindlohr, Nick Fink und Andreas Deuschle und sage stellvertretend herzlichen Dank an das Land für die Förderung unseres ambitionierten Programms zum Neubau und zur Sanierung unserer Schulen. Bis Ende des Jahrzehnts werden alle Schulen in einem top Zustand sein! Im Halbjahresrhythmus machen wir Spatenstiche, Richtfeste, Eröffnungen:

  • Schon nächste Woche die Einweihung der Schule Innenstadt nach der Generalsanierung
  • Anfang Februar der Spatenstich für die Zollberg-Realschule
  • Noch im ersten Halbjahr die Einweihung der Neuen Schule Esslingen in der Pliensauvorstadt
  • Im Herbst der Umbau und die Erweiterung der Mensa an der Grundschule Mettingen
  • Der Bau einer Mensa in der Grundschule St. Bernhardt bis Ende des Jahres
  • Und bereits im letzten Jahr die Einweihung der neuen Grundschule Zell

Das geht alles nur, weil unser Gemeinderat diese Schwerpunktsetzung unterstützt und auch immer wieder kurzfristig Ergänzungen zustimmt wie der Erweiterung der Grundschule in der Pliensauvorstadt, einem beschleunigten Sanierungsprogramm für alle Schultoiletten oder der immer weiter fortschreitenden Digitalisierung. Und bald auch den wohl unvermeidlichen Erweiterungen für das neue (und alte) neunjährige Gymnasium, das zu einem großen zusätzlichen Raumbedarf führen wird.

Besten Dank auch für die Unterstützung beim größten Projekt unserer Stadt, dem Neu- und Ausbau unserer Klinik. Bis 2028 investierten wir mehr als 200 Millionen für den zentralen Funktionsbau mit Notaufnahme, neuen Operationssälen, neuer Intensivstation, neuem Kreißsaal und vielem mehr.

Und damit begrüße ich unsere Mitglieder des Gemeinderates, des Kreistages und der Regionalversammlung und gratuliere allen sehr herzlich zur Wahl am 9. Juni. Ich wünsche Ihnen bei Ihrem Ehrenamt in den kommenden fünf Jahren viel Freude und Erfolg. Glückwunsch auch an alle neu gewählten Mitglieder unserer Bürgerausschüsse.

Wenn wir auf allen Ebenen gemeinsam zusammenarbeiten, werden wir für die Region, den Kreis, die Stadt am meisten erreichen. Zum Beispiel beim Thema Gartenschau: In der Regionalversammlung – herzlich willkommen Regionaldirektor Dr. Lahl – gibt es einen Antrag für eine Bundesgartenschau, bei uns im Gemeinderat einen Antrag für eine Landesgartenschau.

Mein Vorschlag: Lassen Sie uns gemeinsam, Region, Kreis und Städte, eine große Internationale Gartenschau im Jahr 2037 im Neckartal auf den Weg bringen. Gemeinsam haben wir die Kraft, die Flusslandschaft aufzuwerten, den Transformationsprozess der Wirtschaft zu begleiten. Ich bin dazu schon länger in Gesprächen mit den Kolleginnen und Kollegen und hoffe, dass wir gemeinsam einen großen Wurf hinbekommen. Denn der Neckar endet nicht an künstlichen Gemarkungsgrenzen.

Der Mehrwert einer großen Gartenschau für mehr als eine Million Anwohnerinnen und Anwohner entlang der Achse Esslingen – Stuttgart – Ludwigsburg wäre unendlich größer als bei solitären Lösungen. Und so ganz nebenbei entsteht mit solchen Projekten neuer Stolz der Menschen auf ihre Heimat. Kommunen, Kreis und Region wachsen zusammen, wie ich aus persönlicher Erfahrung der Remstalgartenschau 2019 weiß. Packen wir es an, gemeinsam!

„Zusammenarbeit“ ist aus meiner Sicht der Schlüssel zum Erfolg für uns alle. Weniger Scheuklappen, mehr Offenheit, weniger Eitelkeit, mehr Freude am gemeinsamen Erfolg. Wäre das nicht besser für uns?

Das gilt für alle Bereiche. Auch die Kirchen können ein Lied davon singen, dass die Herausforderungen nur gemeinsam zu bewältigen sind.
Letztmalig in seiner Funktion als Dekan der Evangelischen Kirche ist Bernd Weißenborn heute unter uns. Nach 15 Jahren haben Sie sich entschieden, bis zum Ruhestand noch als Gemeindepfarrer zu arbeiten, zurück zu den Wurzeln. Es waren anstrengende 15 Jahre, in vielen Sitzungen mussten schmerzhafte Einschnitte beschlossen werden, die Hälfte der Pfarrstellen musste abgebaut werden.
Aber es wurde vor allem auch aufgebaut und gestärkt in Ihrer Amtszeit: das Waldheim am Jägerhaus, in dem jedes Jahr viele hundert Kinder in den Sommerferien Gemeinschaft erleben. Und das Hospiz vor zehn Jahren aufgebaut, das für so viele Bürgerinnen und Bürgern der Ort des Abschieds vom Leben wurde. Würdevoll, nah bei den Sterbenden und den Angehörigen, im guten Miteinander von Haupt- und Ehrenamtlichen. Alles Gute für Ihre Zukunft wünschen wir Ihnen, lieber Herr Weißenborn, und sagen herzlichen Dank.

Ich könnte noch sehr viele Gäste des heutigen Abends persönlich begrüßen, fast alle von Ihnen machen sich in besonderer Weise um unsere Stadt verdient. In den Vereinen, den Schulen, den Kirchen, im Handwerk und in den Unternehmen, in der Kultur, in der Bildung.
Stellvertretend begrüße ich:

Unseren Ehrenbürger Wolfgang Drexler, der sich über Jahrzehnte um die großen und kleinen Dinge in unserer Stadt gekümmert hat.

Unsere Freunde aus unserer ukrainischen Partnerstadt Kamianets-Podilsky. Die wunderschöne Stadt hatte vor dem Krieg 100.000 Einwohnerinnen und Einwohner, davon 30 Prozent Studierende. Heute sind es 120.000 Einwohner. 20.000 Binnenflüchtlinge alleine in unserer Partnerstadt, die oft alles verloren haben. Übrigens hat Baden-Württemberg, mit elf Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern, im Jahr 2024 insgesamt etwa 25.000 Flüchtlinge aufgenommen. Da macht mich manche politische Diskussion sehr nachdenklich. Und auch traurig. Und ich bin fassungslos, wenn am Wochenende dann wieder von „Remigration“ geredet wurde.
Offiziell sind es schon 200 Tote, aber sehr viel mehr werden vermisst und sind verwundet. Sie schreiben mir zum Ende des alten Jahres: „We do not give up, like the entire country, continues to fight for freedom.“ Wir unterstützen als Stadt und durch die Bürgerschaft, besten Dank unter anderen an die West-Ost-Gesellschaft. Wir unterstützen mit Hilfstransporten. Für die Klinik. Für die Feuerwehr. Mit Generatoren. Mit einem Schulbus, der dank Ihrer zahlreichen Spenden beim letztjährigen Neujahrsempfang ermöglicht wurde. Mit einer gemeinsamen Erklärung der Hochschulen Esslingen und Kamianets-Podilsky zur Zusammenarbeit.

Auch unsere Hochschule hat gleich zu Beginn des Krieges 40 Studierende unterstützt, die hier in Frieden studieren können. Ich begrüße den Rektor unserer Hochschule, Professor Wolfmaier, dessen Studierende und alle Mitarbeitenden sich schon heute auf die Eröffnung des neuen Hochschulstandortes in der Weststadt im Sommersemester 2026 freuen. Und mit dem wir in bestem Kontakt sind, den Standort noch weiterzuentwickeln, als Wissenschaftsstandort und als Ort für Existenzgründerinnen und -gründer.

Hervorheben will ich heute Abend zudem zwei Personen, stellvertretend für alle Organisationen, die sich 365 Tage im Jahr, 24 Stunden, für uns einsetzen: Rochus Denzel, den Leiter unseres Polizeireviers, und Oliver Knörzer, unseren Feuerwehrkommandanten. Für Sie und alle anderen, beim DRK und den Johannitern, beim THW, aber auch für unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Stadtverwaltung war 2024 sehr belastend, vor allem die vergangenen Monate. Mit dem schrecklichen Verkehrsunfall in Weil. Mit dem Tötungsdelikt und dem Brand in der Kronengasse. Dem Verdacht auf Sprengstoff in Zell. Hochwasser im Sommer. Und vielen, vielen weiteren Unfällen und menschlichen Tragödien.
Ich wurde gefragt, wie es mir damit geht. Ja, es hat mich belastet. Sehr sogar. Wenn ich erlebte, wie Vater und Großeltern zur Unfallstelle kamen. Persönliche Gespräche mit den Angehörigen. Schreiben, in denen mir persönlich vorgeworfen wurde, ich hätte Blut an den Händen. Das perlt nicht einfach so an mir ab, auch wenn ich nun schon fast 20 Jahre OB bin und schon vieles erleben und auch ertragen musste. Aber ich wusste, dass ich mich auf alle verlassen konnte. Und es ist in keinster Weise zu vergleichen mit dem unendlichen Schmerz des jungen Vaters, der seine Frau und seine beiden Kinder verloren hat. Mit dem Vater, der um seinen Sohn trauert, alles verloren hat und der nicht weiß, ob die Verlobte seines Sohnes weiterleben kann. In der ganzen Stadt war Trauer. Und auch heute sind wir oft noch in Gedanken ganz nah dabei, es vergeht kaum ein Tag, an dem ich nicht darauf angesprochen werde.

Und als wir alle dachen, am vierten Adventswochenende, am Freitagabend, jetzt beginnt hoffentlich die ruhige Zeit, kam Magdeburg. Sechs Tote, 300 Verletzte. Und deshalb gleich wieder kurzfristige Sitzungen, zusätzliche Maßnahmen für das letzte Wochenende des Weihnachtsmarktes. Und für mich persönlich war der Freitagabend dann irgendwie symptomatisch für das Jahr. Den ganzen Freitag vor Weihnachten war ich in Kontakt mit Strabag, es war Notartermin mit BPI, dem bisherigen Besitzer der Karstadtimmobilie. Immer wieder Pausen, neue Fragen. Und dann um 21.00 Uhr der erlösende Anruf: Der Kaufvertrag für das Karstadt-Areal ist unterzeichnet! Fast 150 neue Wohnungen entstehen, das bestehende Gebäude wird umfassend saniert, weit mehr als 100 Millionen werden bis 2028 investiert! Was für ein Weihnachtsgeschenk! Ich wollte gerade darauf anstoßen, als die Meldung von Magdeburg kam. Und wieder telefonieren, sich neu sortieren, mit dem engsten Team im Büro nachdenken, ob unser so erfolgreicher Weihnachtsmarkt und der Heilige Vormittag dennoch stattfinden können.

Aber danach konnte ich den Jahreswechsel in Ruhe in Esslingen genießen. Na ja, mit der Ruhe war es an Silvester ja nicht so weit her. Ich war ehrlicherweise entsetzt, was ich gesehen und gehört habe. Wir sind nicht Berlin, keine Frage. Bundesweit fünf Tote und viele Schwerverletzte. Aber auch in der Region Stuttgart sind in dieser Nacht alle Handchirurgen rund um die Uhr im Einsatz, die OPs laufen durch. Alleine im Marienhospital 30 Patientinnen und Patienten. Amputationen, lebenslange Behinderungen als Folge. Augenunfälle am Klinikum Stuttgart. Viele wurden wegen zu viel Alkohol in die Kliniken eingeliefert.
Die Handchirurgen fordern deshalb ebenso wie viele meiner Kollegen und auch schon zwei Millionen Bürgerinnen und Bürger mit einer Online-Petition ein Ende der privaten Böllerei. Und alleine schon mit Rücksicht auf unsere maximal belasteten Rettungskräfte und die Mitarbeitenden wäre ein Stopp angezeigt. Aber auch, weil es indirekt jede und jeden von uns in der Silvesternacht treffen kann: weil die vielen Patientinnen und Patienten, die mit Schlaganfällen, Herzinfarkten, nach Unfällen nicht so schnell ärztlich versorgt werden, wie es ohne die Böller-Patientinnen und -Patienten möglich wäre.
Deshalb fordere ich unmissverständlich ein Ende des privaten Feuerwerks, zum Schutz von uns allen, aber auch der Tiere und der Umwelt. Und nein, lieber Herr Bundeskanzler, das ist keine „merkwürdige Debatte“, sondern aus meiner Sicht geboten.

Und damit komme ich zu etwas, was mich auf den unterschiedlichsten politischen und gesellschaftlichen Ebenen bewegt: Was ist angesichts der vielfältig beschrieben Probleme – wirtschaftlicher Strukturwandel, Krise der Autoindustrie, Demographie, drohendem Pflegenotstand, Fachkräftemangel,  Klimawandel, Energie- und Wärmewende, neue geopolitische Bündnisse, Unberechenbarkeit nach der US-Wahl, Uneinigkeit in der EU, Rechtspopulismus und Rechtsextremismus, dem Krieg in der Ukraine, dem Sturz des Assad-Regimes, dem millionenfachen Leid im Sudan, um nur einige Themen zu nennen – in Deutschland, in Baden-Württemberg, in unserem Kreis, in unserer Stadt notwendig? Was ist möglich, was aber auch nicht mehr? Wohin geht die Reise in der EU, wenn die Züge in unterschiedliche Richtungen fahren und zunehmend rechts abbiegen? 
Aus meiner Sicht ist eines klar: Die Zeiten des „sowohl als auch“ sind vorbei. Für lange Zeit. Es ist Zeit für klare Entscheidungen. Zeit für Verlässlichkeit.
Und Zeit für klare Haltung, wie es 8.000 Bürgerinnen und Bürger auf dem Marktplatz vor einem Jahr gezeigt haben, mit einem so starken Zeichen gegen Rechtsextremismus.

Man ist angesichts der Unsicherheit, der Geschwindigkeit der Umbrüche – neudeutsch „Disruption“ – versucht, sich ins Private zurückzuziehen. Und ja, auch mir geht es mehr und mehr so, dass ich abends keine Nachrichten mehr sehen und hören mag, die mich wie die meisten von uns schon nach dem Aufstehen durch den Tag begleiten. Sondern lieber Entspannung und Ablenkung bei einem guten Buch oder einem Film suche. Und ja, wir brauchen als Menschen auch diese Phasen der Ruhe, der Entspannung, wie es schon in der Bibel geschrieben ist: am siebten Tage sollst du ruhen. Das gilt selbstverständlich auch für den Tagesrhythmus von uns allen. Um gesund zu bleiben, „resilient“ zu werden bei all den Dingen, die uns tagtäglich neu fordern.

Nicht alle schaffen diesen inneren Ausgleich, die psychischen Erkrankungen nehmen dramatisch zu, wie wir auch in der Kinder- und Jugendpsychiatrie unserer Klinik erleben. Mehr als zwei Stunden täglich sind ältere Jugendliche in den sozialen Medien unterwegs, weitere zwei Stunden im Netz oder auf Videoplattformen. Aber auch bei den älteren, den Babyboomern und den Seniorinnen und Senioren, ist die tägliche Bildschirmzeit mit zweieinhalb bzw. eineinhalb Stunden unverzichtbarer Teil des Lebens. Wer hätte das gedacht, als vor etwas mehr als 15 Jahren das erste iPhone in Deutschland auf den Markt kam?

Und wo stehen wir in 15 Jahren, im Jahr 2040? Gesellschaftlich, wirtschaftlich, politisch? Wer führt in der Politik, aber auch in der Gesellschaft, der Wirtschaft wirklich echte Zukunftsdebatten? Sind wir nicht vielmehr viel zu oft im Hier und Jetzt gefangen, vielleicht noch mit dem Blick ins laufende Jahr? „Auf Sicht fahren“ ist die Umschreibung dafür, dass es an langfristigen Perspektiven mangelt. Aber dazu brauchen wir alle Mut. Und Zeit, um die notwendigen Debatten zu führen. Und dann auch die Kraft, langfristig die Maßnahmen umzusetzen, um die Ziele zu erreichen.
Erst letzte Woche war ich mit Rezzo Schlauch beim Mittagessen. Er war damals als Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, als die Agenda 2010 im Jahr 2003 beschlossen wurde. Bis die ersten Früchte geerntet werden konnte, vergingen einige Jahre. Leider wurden viele, teils auch schmerzhafte Maßnahmen, wieder verwässert. Aber keiner wird heute bestreiten, dass wir bis zu Beginn der 2020er Jahre von diesem politischen Mut alle profitiert haben. Damals waren fast fünf Millionen Arbeitslose der Auslöser.

Heute sind es andere Themen, die eine grundlegende Reform notwendig machen. An erster Stelle die Fragen nach der Sicherheit, die Verschiebung der globalen Ordnung, die Stärke Chinas und Indiens, die Politik des „America first“, die Klimakrise. Anders als bei der Agenda 2010 sind heute internationale Themen im Fokus. Deshalb sollten unsere Antworten auch international sein, gemeinsam mit unseren europäischen Partnern, mit einer starken Achse Frankreich – Deutschland – Polen. Klar ist für alle: Wir brauchen mehr Geld für unsere Sicherheit. Ob das nun drei Prozent des BIP sind – und damit 50 Milliarden pro Jahr – oder noch mehr, kann ich nicht beantworten.
Aber auch als „kleiner“ Politiker ist mir klar, dass damit ganz massiv umgeschichtet werden muss im Haushalt und auch die Schuldenbremse in der jetzigen Form nicht zu halten ist, wenn wir zeitgleich den Sanierungsstau bei Bahn, Brücken und Straßen auflösen, mehr in Bildung investieren, Deutschland endlich digitalisieren, die Energiewende gestalten und die Wohnungsnot bekämpfen wollen, um nur einige Top-Themen zu nennen. Und das in einer Zeit wirtschaftlicher Schwäche in unseren Schlüsselindustrien.

Und vor allem aber auch: Unsere Demokratie muss jeden Tag neu mit Leben gefüllt und verteidigt werden. Gegen mächtige Akteure, die Freiheit mit der Maßlosigkeit des Individualismus gleichsetzen. Für Minderheitenrechte und den Schutz den Schwächeren. Gegen Hass und Hetze im Netz, gegen „fake news“. Für den Schutz unseres Grundgesetzes, für den Schutz unserer demokratischen Institutionen wie zuletzt dem Bundesverfassungsgericht durch eine breite Mehrheit im Bundestag. Gegen Leugner des menschenverursachten Klimawandels. Für eine Gesellschaft, die positiv auf die Zukunft blickt, trotz aller Unsicherheiten.
Übersetzt für unsere Stadt stellen sich mir bei diesen innenpolitischen Themen viele Fragen, bei denen wir aus Sicht unserer Stadt Antworten geben wollen, Antworten geben müssen, denn auch wir spüren bereits die ersten Auswirkungen: Die Kurzarbeit nimmt zu, bei der Gewerbesteuer drohen schmerzhafte Ausfälle.
Die Zeiten des „Immer mehr“ sind vorbei. Die Zeiten, in denen immer nur neue Projekte umgesetzt wurden, aber nichts von den Aufgaben zurückgenommen wurde.
Einige wenige Impulse und Beispiele:

  • Wir können bei zurückgehenden Steuereinnahmen und steigenden Personalkosten die Zahl der Personalstellen nicht immer weiter erhöhen. Auch nicht bei den umlagefinanzierten Landkreisen oder bei der Region.
  • Die Lohnforderungen von ver.di mit über acht Prozent sind absolut unrealistisch und nicht von dieser Welt und würden zu deutlichem Personalabbau führen müssen.
  • Sparen wird nur dann erfolgreich sein, wenn wir an die großen Kostenblöcke herangehen. Wer jetzt von einer weiteren Verbesserung des S-Bahn-Taktes oder der Busse redet, hat die Zeichen der Zeit nicht erkannt.
  • Die bestehende Infrastruktur muss erhalten werden. Brückensanierung geht vor Neubau. Nach der Sanierung ist vor der Sanierung. Einen neuen Alicensteg oder eine Brücke aus der Weststadt in die Pliensauvorstadt kann es frühestens zu einer Gartenschau 2037 geben, wenn alle Sanierungen abgeschlossen sind.
  • Wir müssen alles dafür tun, den wirtschaftlichen Strukturwandel zu unterstützen.
  • Die Innenstadt hat weiterhin oberste Priorität, sie ist das Herz unserer Stadt. Im Februar beschließen wir über die Neugestaltung des Marktplatzes, unserem „Wohnzimmer“. Im Mai werden wir über die neue Stadtbücherei entscheiden, die zweite Schlüsselimmobilie nach dem alten Karstadtgebäude.
  • Und auch bei der dritten Schlüsselimmobilie geht es voran, der ehemaligen Buchhandlung Schmid auf der Inneren Brücke. Wir haben als Stadt unsere Hausaufgaben erledigt, bald kann es losgehen. Aber viel wichtiger: Bei allen drei Schlüsselprojekten wird privates Geld investiert, weil die Menschen an unsere Stadt glauben.
  • Viele Städte beneiden uns um diese Chancen! Lassen Sie uns darauf gemeinsam stolz sein, trotz aller Schwierigkeiten ist das Glas mehr als halbvoll. Reden wir mehr über die Chancen, kommen wir ins Machen! Mehr schwäbische Bruddler brauchen wir nicht, sondern mehr Optimisten und Schaffer, die die Ärmel hochkrempeln.

Und engagierte Demokratinnen und Demokraten, die sich in die politische Diskussion einbringen. Und die am 23. Februar wählen gehen bei der Bundestagswahl. Und auch da kommen wir so richtig ins Schaffen in den Städten, denn die Fristen für die Briefwahl sind sehr kurz. Damit bei uns alles schnell und problemlos läuft, packen bei uns alle mit an bei der Briefwahl. Keine externen Dienstleister, sondern vom Oberbürgermeister bis zum Hausmeister sorgen wir selbst dafür, dass die Unterlagen maximal schnell versendet werden können. Mein Büro beginnt damit in der ersten Februarwoche, dann jeden Tag ein anderes Team.
Unsere Stadtverwaltung ist zupackend und unbürokratisch, meine sehr geehrten Damen und Herren, ich bin stolz auf das Team Esslingen!

Vieles, vieles, vieles konnte ich heute nicht erwähnen. Zu vielen globalen Themen. Zu Themen in unserer Stadt. Ich habe mich bewusst vor allem auf uns konzentriert, auf unsere Stadt, auf unsere Aufgaben. Mit 5.000 Mitarbeitenden, in der Klinik, den fünf Pflegeheimen, dem Busbetrieb, unseren Stadtwerken und der Esslinger Wohnungsbau, der Volkshochschule, dem Neckarforum, der Stadtverwaltung haben wir ein Bilanzvolumen von einer Milliarde Euro und treiben jeden Tag die Stadt um und wollen jeden Tag die Stadt noch ein Stückchen lebenswerter machen. Ein riesengroßer Dank an alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die sich für unser Gemeinwohl einsetzen. Sie alle sind unersetzlich für unsere Stadt.

Ich sage Ihnen zu: Gemeinsam mit Ihnen, unseren engagierten Bürgerinnen und Bürgern, werden wir auch 2025 jeden Tag die Ärmel hochkrempeln, nicht verzagen, sondern positiv nach vorne gehen, ohne die Schwächsten zu verlieren.
In der fast 1250-jährigen Geschichte unserer Stadt gab es immer wieder Höhen und Tiefen. Viele Generationen haben mitgewirkt, dass unser Esslingen so besonders ist, so besondere Ort hat. Dank besonderer Menschen wie Ihnen allen.
Bleiben wir eine weltoffene, tolerante Stadt, in der sich alle Bürgerinnen und Bürger aus 150 Nationen sicher und wohl fühlen und das Miteinander wichtiger ist als das Trennende.
Bleiben Sie zuversichtlich, optimistisch, beginnen und beenden Sie die Tage im Neuen Jahr mit einem Lächeln. Und bleiben Sie miteinander positiv verbunden und im offenen Gespräch, heute beim Empfang, daheim in der Familie, im Beruf.
Glück auf für unsere Stadt Esslingen. Alles Gute für 2025.

Rede zum Download

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Rede OB Mahias Klopfer - Neujahrsempfang 2025 (PDF, 84 KB) 13.01.2025 84 KB

Impressionen

Begrüßung im Foyer des Neckarforums
Blick ins Foyer auf die eintreffenden Gäste.
OB Matthias Klopfer mit illustren Gästen.
Blick in den vollbesetzten großen Saal.
OB Matthias Klopfer am Redepult.
Die TanzKompanie von Gregory Darcy unterhält die Gäste.
Verleihung der Ehrenplakette an den langjährigen Stadtrat Alexander Koch.
Gemeinsames Singen
Sonja Faber-Schrecklein und OB Klopfer geben den Startschuss für das Stadtjubiläum.
Die Gäste stoßen mit Esslinger Wein auf das neue Jahr an.